Wie hat sich die Corona-Pandemie auf Freelancer ausgewirkt? Kämpfen sie in unsicheren Zeiten ums Überleben oder kommt der große Schritt in Richtung Zukunft der Arbeit ihnen vielmehr zugute? Die große Umfrage von 9am und CodeControl zeigt: Insgesamt ist die Entwicklung für freie Talente positiv. Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den Phasen der Pandemie und den verschiedenen Branchen.
Der Beginn der Pandemie war für viele Freelancer eine schwierige Zeit. Die allgemeine Unsicherheit in vielen Unternehmen hatte anscheinend auch negativen Einfluss auf die Nachfrage von Freelance-Talenten: 58 Prozent der Befragten haben in den ersten sechs Monaten von Corona weniger Anfragen bekommen als 2019. Für knapp 21 Prozent hat sich nichts geändert und nur 21 Prozent konnten mehr Projektanfragen verzeichnen.
Im weiteren Verlauf ändert sich das Bild. Mehr als sechs Monate nach Pandemiebeginn wurden 43 Prozent sogar stärker nachgefragt als 2019 und 19 Prozent bewegten sich auf einem ähnlichen Level. Allerdings erhielten ganze 38 Prozent immer noch weniger Anfragen als vor Corona.
Marc Clemens ist Gründer und Geschäftsführer von CodeControl, wo er mit seinem Team Tech-Freelancer vermittelt. Er kann diese Entwicklung aus eigener Erfahrung bestätigen:
"Ab März/April 2020 sind die Anfragen deutlich zurückgegangen. Es gab eine Stagnation, die den ganzen Sommer über andauerte. Doch ab September ging es dann wieder richtig los und seitdem nehmen die Anfragen kontinuierlich zu."
Einen Zuwachs an Anfragen im weiteren Verlauf der Pandemie gab es vor allem im Web Development (80 Prozent), App Development (79 Prozent) und der Software-Entwicklung (62 Prozent). Auch im Marketing stieg immerhin bei 50 Prozent der Befragten das Interesse an ihren Leistungen. Dagegen sah es im Journalismus ganz anders aus: Hier mussten sich 70 Prozent auch langfristig mit weniger Anfragen abfinden und nur 15 Prozent erlebten ein Plus.
Demnach sind Freelance-Entwickler verschiedener Schwerpunkte besonders gut durch die Pandemie gekommen. Diese Bereiche sind aktuell noch eher männlich dominiert - eine mögliche Erklärung für die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die sich abzeichnen: Unter den weiblichen Befragten erhielten 65 Prozent zu Beginn weniger Anfragen, bei den Männern “nur” 53 Prozent. Die positive Entwicklung im weiteren Verlauf war eher bei männlichen Freelancern zu spüren (52 Prozent), während nur 33 Prozent der Frauen ab Herbst 2020 mehr Anfragen verzeichnen konnten.
Auch bei den Honoraren zeigt sich ein diverses Bild. Insgesamt können 40 Prozent mittlerweile höhere Preise für ihre Leistungen aufrufen als vor der Pandemie, aber andererseits sehen sich 25 Prozent mit Auftraggebern konfrontiert, die nun weniger bezahlen können oder wollen. Hier gibt es ebenfalls starke Unterschiede zwischen den Branchen: Während die meisten Entwickler ihre Preise erhöhen konnten (je nach Spezialisierung zwischen 68 und 82 Prozent der Befragten), waren es bei den Journalisten nur 19 Prozent.
Beim Umfang der Projekte zeigt sich: Es gibt eine Tendenz hin zu langfristiger Zusammenarbeit mit Freelancern. 37 Prozent erklärten, ihre Kunden seien mittlerweile eher daran interessiert, sie auf längere Sicht zu beauftragen. Für viele Freelancer ist das eine positive Entwicklung, weil langfristige Projekte ihnen mehr Planungssicherheit bieten.
Nur bei 25 Prozent der Befragten sind die Kunden zurückhaltend und wollen lieber kurzfristig zusammenarbeiten. Auch hier sind die Journalisten betroffen: 52 Prozent erhalten eher kürzere Aufträge als vor der Pandemie, nur 19 Prozent werden langfristiger beauftragt. Dagegen sind Web-Entwickler (76 Prozent mit langfristigeren Aufträgen) und App Developer (68 Prozent) auch hier die Gewinner.
Emile Baccaïni, Sales Lead bei CodeControl, berichtet:
"Wir sehen in einigen Branchen, dass sich die Wirtschaft erholt und es nicht genug Tech-Talente gibt – vielleicht ist die Lücke sogar größer als vorher. Einige Kunden wollen deshalb langfristig mit Freelancern arbeiten, weil sie gar keine Alternative sehen. Sie finden einfach keine Talente für eine Festanstellung oder haben keine Zeit für die langwierige Suche."
In vielen Unternehmen war die Pandemie ein Treiber für Remote Work und digitale Zusammenarbeit. Diese Entwicklung können auch die befragten Freelancer bestätigen. Bei 36 Prozent ist den Auftraggebern mittlerweile weniger wichtig, von wo aus sie arbeiten, und bei 33 Prozent war der Arbeitsort auch vorher schon kein Thema. Damit sind 69 Prozent der Freelancer ortsunabhängig. Außerdem hat sich für 73 Prozent die digitale Kollaboration mit den Kunden verbessert. Es zeigt sich also, dass Freelancer von diesen Veränderungen profitieren und sich über mehr Flexibilität und effizientere Zusammenarbeit freuen können.
Marc Clemens erklärt:
"Remote Work wird von unseren Kunden mittlerweile gar nicht mehr infrage gestellt. Der Unterschied zwischen Freelancern und Angestellten ist außerdem geringer geworden, weil auch die festen Mitarbeiter in den meisten Fällen remote gearbeitet haben."
Eine allgemeine Einschätzung des Freelance-Marktes über die eigene Situation hinaus fällt bei den meisten Befragten positiv aus. 41 Prozent sehen eine positive Entwicklung, 10 Prozent keine Veränderung. Andererseits geben auch 37 Prozent eine eher negative Prognose ab. Es überrascht nicht, dass dieser Anteil in Branchen mit negativer Entwicklung, zum Beispiel im Journalismus, höher ist. Dagegen ist die Einschätzung unter den befragten Entwicklern positiv.
Bei der Frage nach dem bevorzugten Kanal für die Kundengewinnung wird klar: Die Zukunft gehört Marktplätzen und Communitys. 38 Prozent bevorzugen diesen Weg, während nur 19 Prozent lieber auf Recruiting-Agenturen vertrauen. Bei Freelancern, die erst seit maximal drei Jahren aktiv sind, schätzen mit 45 Prozent besonders viele den direkten Weg über einen Marktplatz oder eine Community.
Der Freelancer-Markt hat durch die Pandemie insgesamt eine positive Entwicklung erlebt. Nach einem kurzen Einbruch zu Beginn konnten 43 Prozent später sogar mehr Anfragen verzeichnen als in 2019. Möglicherweise wollen viele Unternehmen in unsicheren Zeiten flexibel bleiben und deshalb lieber mit freien Talenten arbeiten, als neue Mitarbeiter einzustellen.
Gleichzeitig ist aber auch der Anteil der langfristigen Projekte gestiegen. Ein Grund könnte sein, dass Auftraggeber die Zusammenarbeit schätzen gelernt haben und nun grundsätzlich offener für Freelancer sind. Vermutlich hat auch die allgemeine Stärkung von Remote Work und digitaler Kollaboration diese Entwicklung unterstützt.
Die Befragung zeigt aber auch, dass deutliche Unterschiede zwischen den Branchen bestehen. Während Entwickler stark nachgefragt werden und höhere Honorare verlangen können, sieht es für Journalisten schlechter aus.
Für die Freelancer-Studie wurden im Sommer 2021 über einen Online-Fragebogen 485 Freelancer befragt, die auch vor Beginn der Pandemie schon aktiv waren. Unter den Teilnehmenden waren 54 Prozent Männer, 38 Prozent Frauen und 8 Prozent definierten sich als nicht-binär oder wollten die Frage nicht beantworten. Die Branchen waren bunt gemischt, wobei Design mit 16 Prozent und Software-Entwicklung mit 14 Prozent am stärksten vertreten waren. Mit 65 Prozent lebt der Großteil der Befragten in Deutschland.